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Bundeswehr bleibt: Doppelter Betrug an den Bürgern Iraks und Deutschlands
Gegen den Willen des irakischen Parlaments soll der Bundeswehreinsatz in Irak verlängert werden. Das widerspricht auch Ankündigungen der SPD. Dieses Vorhaben erscheint imperialistisch und anmaßend – und es lässt „russische Einmischungen“ im Vergleich zu jenen des Westens einmal mehr harmlos erscheinen. Zusätzlich wird der Erosion der Demokratie auch in Deutschland Vorschub geleistet. Von Tobias Riegel.
Das irakische Parlament hat im Januar eine Resolution beschlossen, die den Abzug aller ausländischen Truppen aus dem Land fordert. Die Resolution lässt laut Medien an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Die Regierung wird aufgefordert, ihre Bitte um Beistand im „Kampf gegen den Terrorismus“ zurückzuziehen.
Bundesregierung ohrfeigt irakisches Parlament
Wie eine Ohrfeige – nicht nur für irakische Parlamentarier – muss nun eine aktuelle Entscheidung der deutschen Regierung empfunden werden, über die Medien berichten: Ein Abzug der Bundeswehr aus dem Irak wird verweigert, die Entscheidung des irakischen Parlaments wird in Berlin einfach nicht wahrgenommen. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch ein Ergänzungsmandat für den Einsatz der bis zu 700 deutschen Soldaten auf den Weg gebracht, das die Aufgaben für die Soldaten und die rechtlichen Grundlagen teilweise neu definiert – von einem Abzug ist hier nicht die Rede.
Stattdessen wird versucht, den verweigerten Abzug hinter verwirrenden Änderungen des Mandats und den entsprechenden Formulierungen zu verstecken. So wird zwar in Aussicht gestellt, dass die Bundeswehr ihre Tornado-Flüge beendet. Die „Tagesschau“ macht daraus die irreführende Aussage: „Bundeswehr stellt Aufklärungsflüge ein“. Irreführend, weil dadurch suggeriert wird, die aktuellen Änderungen des Mandats würden eine Art Rückzug der Bundeswehr bedeuten.
Dieser Eindruck ist falsch. Denn selbst wenn Italien einspringen sollte, wird die Bundeswehr weiter im irakischen Luftraum vertreten sein, möglicherweise mehr als bisher: Zwar hat Italien laut Kabinettsvorlage die “grundsätzliche Bereitschaft” erklärt, Deutschland mit eigenen Fliegern abzulösen. Dafür müsse sich die Bundeswehr aber – selbst wenn Italien zur eigenen Zusage stehen sollte – an anderer Stelle „stärker einbringen“. So sollen deutsche Tankflugzeuge die Jets über Irak und Syrien in der Luft mit Treibstoff versorgen. Zudem würde sich Deutschland künftig mit einem Überwachungsradar für den irakischen Luftraum dort stärker engagieren und den Lufttransport für Truppen für die Partner öffnen. Die Ausbildung und Beratung irakischer Streit- und Sicherheitskräfte soll laut Bundesregierung nicht mehr nur rein national erfolgen, sondern auf die dortige Nato-Mission erweitert werden.
Aktuell sind laut Medien 415 deutsche Soldaten im betreffenden Einsatz. Das deutsche Kontingent wird aus Jordanien geführt, wo rund 280 deutsche Soldaten stationiert sind. Knapp 90 sind im nordirakischen Kurdengebiet im Einsatz, um dort kurdische Kräfte auszubilden. Im Militärkomplex Tadschi nördlich von Bagdad arbeiten 27 Bundeswehr-Ausbilder.
Mit der Kabinettsvorlage wird also in offenem Widerspruch zum erklärten Willen des irakischen Parlaments der Einsatz eher ausgebaut, als dass die Bundeswehr Anstalten machen würde, wenigstens absehbar das Land wieder zu verlassen.
Royale Geste – NATO entmachtet irakische Demokratie
Doch auf welcher Grundlage basiert überhaupt das Nato-Mandat für Irak? Die Bundesregierung erklärt das auf ihrer Homepage folgendermaßen:
„Deutschland unterstützt den Aufbau selbsttragender und verlässlicher Strukturen und Fähigkeiten in Irak auf ausdrückliche Bitte der irakischen Regierung. Auch die Beteiligung an der Nato-Mission ist auf die explizite Zustimmung der irakischen Regierung vom 14. April 2014 zurückzuführen. Der irakische Premierminister erneuerte sein Einverständnis zu der Nato-Mission in einem Briefwechsel mit dem Nato-Generalsekretär vom 12. Februar 2020.“
Was in dieser Erklärung fehlt, ist die Erwähnung der Resolution des irakischen Parlaments von Januar 2020, die die Truppen eindeutig des Landes verweist. Wie wird dieses Problem gelöst? Man erklärt das Parlament für nicht zuständig und überträgt die Entscheidung auf die (geschäftsführende) irakische Regierung. Die „Süddeutsche Zeitung“ gibt sich mit folgender Formulierung zufrieden:
„Gegenüber der Nato soll der geschäftsführende irakische Premier am 12. Februar die Zustimmung für die Ausbildungsmission erteilt haben.“
Hier wird also vom Westen ein geschäftsführender Premier über das Votum der Angeordneten gestellt. In einer fast schon royalen Geste erlaubt dieser die weitere Besetzung des Landes. Man stelle sich das in anderen Konstellationen vor: Das Parlament der Krim würde sich offiziell gegen russische Truppen aussprechen, der oberste Krim-Repräsentant würde die Russen dennoch einladen – auf welche Seite würden sich unsere Medien und Politiker wohl schlagen? Oder angenommen, das deutsche Parlament würde die US-Truppen des Landes verweisen, Angela Merkel würde sie aber in einer einsamen Handlung zum Bleiben auffordern: Welche Position wäre wohl die demokratischere?
SPD macht tragische Figur
Mit ihrem aktuellen Beschluss tritt die deutsche Regierung also demokratische Gepflogenheiten mit Füßen. Diese Ignoranz gegenüber den Volksvertretern wird auch das Ansehen der deutschen Demokratie und ihrer Institutionen beschädigen. Zusätzlich lehnen weite Teile der deutschen Bevölkerung Auslandseinsätze ab. Auch diese Bürger fühlen sich von dieser Regierung in dem Fall nicht mehr vertreten.
Dass bei diesem Akt auch die SPD mitmacht, kann nicht mehr überraschen oder enttäuschen – tragisch ist die Entwicklung dennoch. Vom noch im vergangenen Herbst von einzelnen Sozialdemokraten simulierten Widerstand gegen den Militäreinsatz ist nicht viel geblieben. Der „Tagesspiegel“ erinnerte im letzten Oktober:
„Doch seit der IS Ende 2017 offiziell für besiegt erklärt wurde, wuchs in der SPD-Fraktion die Neigung, die Operation zu beenden. (…) Mützenich, damals Chef-Außenpolitiker, machte sich zum Fürsprecher der Kritiker und setzte vor einem Jahr durch, dass das Mandat nur verlängert wird, wenn es zum 31. Oktober dieses Jahres definitiv ausläuft. Doch weder die Union noch Außenminister Heiko Maas wollen sich damit abfinden. Maas plädierte klar dafür, dass die Deutschen bleiben; ihre weitere Beteiligung sei ‚unabdingbar‘.“
Bundestag kann noch einschreiten
Die Bundeswehr bleibt laut aktuellen Berichten nicht nur in Irak – sie gliedert sich mit ihrem Beitrag zukünftig unter das Dach der NATO ein, die parallel ausbildet. Dies sei bemerkenswert, weil sich in Berlin die SPD lange dagegen gewehrt hatte, unter NATO-Dach im Irak tätig zu werden, wie Medien betonen.
Die deutschen Parlamentarier können diesem geplanten Militarismus in Tateinheit mit Ignoranz gegenüber den irakischen Parlamentariern noch Grenzen setzen: Der Bundestag muss dem Einsatz noch zustimmen. In dem Zusammenhang sei hier ein Appell an die SPD-Abgeordneten vom vergangenen Herbst zitiert:
„Lassen Sie nicht zu, dass die SPD aufgrund polittaktischer Kompromisse innerhalb der großen Koalition an Glaubwürdigkeit verliert. Unterstützen Sie nicht aus Loyalität gegenüber Verbündeten eine Außen- und Militärpolitik, die gegen sozialdemokratische Grundwerte verstößt. Beenden Sie mit Ihrer Stimme im Bundestag den Einsatz der Bundeswehr in Syrien und im Irak! Setzen Sie sich für ein Ende der Wirtschaftssanktionen gegen Syrien und für schnelle Hilfen zum Wiederaufbau eines durch Krieg und Sanktionen zerstörten Landes ein!“
Titelbild: Aleks_Shutter / Shutterstock